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Auf Augenhöhe: Medizinische Unterstützung für Gehörlose in Wiener Neustadt

Das Landesklinikum Wiener Neustadt hat nun eine Anlaufstelle für gehörlose Patient:innen. Mit dem Projekt „Auf Augenhöhe“ werden teilweise komplizierte Informationen mit ÖGS und visuellen Mitteln zugänglich gemacht. Das ganze Projekt ist eine Initiative von Sarah Kaspar. Sie führt Patient:innen, und unser Team, durch das Landesklinikum.

 

*Alternativlink zum Video: YouTube

 

Transkript des Interviews:

GWTV: Hallo! Ich bin gehörlos und habe hier einen Termin. Danke.

Mitarbeiter Landesklinikum: Moment.

GWTV: Hallo!

Sarah Kaspar: Komm mit, ich begleite dich.

GWTV: Super.

GWTV: Hallo! Wir sind heute in Wiener Neustadt im Landesklinikum. Kannst du dich kurz vorstellen?

Sarah Kaspar: Hallo! Mein Name ist Sarah Kasper. Ich arbeite als Projektleitung vom Projekt “Auf Augenhöhe”. Hier gibt es keine Gehörlosenambulanz. Hier im Spital gibt es aber trotzdem Angebote für gehörlose Menschen.

GWTV: Was ist der Unterschied? Kannst du das kurz erklären?

Sarah Kaspar: Es gibt das Projekt “Auf Augenhöhe”. Dabei gibt es drei Bereiche: Erstens: Patient:innen-Begleitung in Gebärdensprache. Das bedeutet: Ich begleite eine gehörlose Person,
die ins Spital kommt. Natürlich in Gebärdensprache. Zweitens: Sensibilisierung von hörenden Mitarbeiter:innen. Das bedeutet, z.B. die Organisation von Gebärdensprachkursen, Vorträgen, etc. Drittens: Abbau von Barrieren. Dabei werden immer gehörlose Personen miteinbezogen.

GWTV: 
Es werden drei Bereiche angeboten. Seit wann gibt es diese Angebote? Wann wurde das Projekt gegründet?

Sarah Kaspar: Das Projekt hat mit 1. Jänner 2021 begonnen.

GWTV: Also erst vor kurzer Zeit.

Sarah Kaspar: Ja genau.

GWTV:  An welchen Tagen bist du immer da für die Patient:innen-Begleitung?

Sarah Kaspar: Ich bin immer mittwochs von 7-17 Uhr da.

GWTV: Woher hattest du die Idee für dieses Projekt:

Sarah Kaspar: Früher war mein Beruf “Diplomierte Gesundheitskrankenpflegerin”, das bedeutet Krankenschwester. Daher verfüge ich über medizinisches Fachwissen. Dann habe ich begonnen Gebärdensprache zu lernen. Ich habe dann überlegt wie ich beide Dinge – Gebärdensprache und meinen Beruf – kombinieren kann. Aus diesem Grund: Ich kenne viele gehörlose Menschen. Sie haben mir viel erzählt, auch über die zahlreichen Barrieren im medizinischen Bereich. Zum Beispiel: Die Kommunikation klappt nicht, viele Informationen sind zu kompliziert und nicht verständlich.

Mein Wunsch war, eine Lösung für dieses Problem zu finden. Die Gehörlosen haben erzählt welche Bedürfnisse sie haben, wo es Probleme gibt und wie man sie lösen kann. So ist dieses Projekt entstanden.

GWTV: Durch gehörlose Menschen bist du auf die Idee für das Projekt gekommen.

Sarah Kaspar:  Ja, genau. Mir ist wichtig, dass der Inhalt an gehörlose Menschen angepasst wird. Darum habe ich oft gemeinsam mit gehörlosen Menschen überlegt, ob das so passt oder wie man das lösen kann. Dann habe ich gefragt, ob es so passt oder ob es noch andere Ideen gibt. Gehörlose Menschen konnten auch ihre eigenen Ideen einbringen.

GWTV: Team-Arbeit ist da ganz wichtig. Dann kann man etwas entwickeln. Zusammenarbeiten und schauen, was die Leute brauchen, welche Bedürfnisse es gibt.

Sarah Kaspar: Wichtig ist, dass man sich an die Zielgruppe anpasst.

Sarah Kaspar: Wir werden das kurz besprechen. Es geht um die Einverständniserklärung. Du wirst operiert, dazu brauchst du eine Narkose. Bitte lies dir die Erklärung durch. Du kannst gerne Fragen stellen.

 

GWTV: Gibt es beim Projekt auch gehörlose Mitarbeiter:innen?

Sarah Kaspar:  Ja, es gibt 3 gehörlose Personen, die auch hier im Spital arbeiten. Sie arbeiten in verschiedenen Bereichen, z.B. in der Hausarbeit, in der Buchhaltung oder als Abteilungshelfer:in. Wir machen uns oft Termine aus, setzen uns zusammen, sprechen über neue Ideen und tauschen uns aus.

GWTV: Da werden Ideen besprochen, wie man Dinge an die Bedürfnisse von gehörlosen Patient:innen anpassen kann …

Sarah Kaspar: Ja, genau.

GWTV: … wenn sie ins Spital kommen.

Sarah Kaspar: Ja, genau. Oder gehörlose Mitarbeiter:innen stoßen auf Barrieren, die mir als hörende Person nicht bewusst sind. Darum ist der Austausch zwischen uns sehr wichtig. Welche Barrieren gibt es und welche Lösungen gibt es dafür? Wir besprechen das in Gebärdensprache.

GWTV:  Gut, ihr tauscht euch aus. Ich habe gesehen, dass ihr Karten mit Bildern drauf habt. Werden die für neue Ideen verwendet? Kannst du das kurz erklären?

Sarah Kaspar: Ja, stimmt, die Karten haben wir auch. Im Spital werden verschiedene Hilfsmittel genutzt. Zum Beispiel: Es gibt mehr Bilder oder auch Kommunikationsformulare. Gehörlose Menschen haben unterschiedliche Lesekompetenzen. Deshalb habe ich mir überlegt, wie man es adaptieren kann, damit es für alle gehörlosen Patient:innen passt. Daher haben wir begonnen Bilder in der Kommunikation einzusetzen oder Informationen in einfacher Sprache anzubieten.

GWTV: Wie werden die Bilder genau verwendet? Wie läuft da die Kommunikation ab? Man sitzt zum Beispiel beim Arzt bzw. bei der Ärztin
und bekommt dann eine Tafel mit Bildern in die Hand?

Sarah Kaspar:  Ja, zum Beispiel: Wenn ich nicht da bin oder auf Urlaub bin, dann können diese Hefte mit Bildern verwendet werden. Man kann da nur auf ein Bild zeigen oder
auch Sätze aus verschiedenen Bildern bauen. Zusätzlich kann man die Formulare am Computer auch inhaltlich anpassen. Die Kommunikation zwischen Arzt/Ärztin und gehörloser Person
ist dann visueller und wird leichter verstanden. Im medizinischen Bereich sind die Inhalte oft kompliziert und schwer verständlich. Auch die Kompetenz ist unterschiedlich. Deswegen ist es wichtig die Inhalte so anzupassen, dass alle Leute sie verstehen können.

GWTV:  Du hast schon erzählt, dass Bilder in der Kommunikation verwendet werden und dass Mitarbeiter:innen in Gebärdensprache geschult werden.

Sarah Kaspar: Ja.

GWTV: Wird Gebärdensprache dann im Kontakt mit gehörlosen Patient:innen verwendet?

Sarah Kaspar: Als Hilfsmittel, ja, und zusätzlich wird ein Gebärdensprachkurs für Mitarbeiter:innen angeboten. Den Kurs leitet Traude Binder. Sie ist gehörlos und unterrichtet hier. Meine Aufgabe ist es in der Organisation zu unterstützen. Bei Teamsitzungen übersetze ich. Den Kurs übernimmt Traude. Im Kurs wird Gebärdensprache erlernt. Das heißt, es werden natürlich Vokabel gelernt.

Ein wichtiges weiteres Ziel ist, wie man bildhaft in Gebärdensprache erklären kann. Sodass eben unterschiedliche Sachverhalte klar und bildhaft in ÖGS erklärt werden können.

GWTV: Und die Vokabel zielen darauf ab, im medizinischen Bereich eine Basiskommunikation zu erlangen?

Sarah Kaspar: Ja. Wir haben auch noch ein zweites Angebot für Mitarbeiter:innen. Zwischen den beiden Kursen ist eine Pause, z.B. im Sommer. Uns ist aber wichtig, dass
man weiterüben kann. Deshalb haben wir ein zusätzliches Angebot: Das Gebärdenkaffeehaus. Da sind Traude, ich, gehörlose Mitarbeiter:innen und die Kursteilnehmer:innen dabei. Wir setzen uns da zum Üben zusammen.

In diesem Rahmen können auch Fragen beantwortet werden. Es werden unterschiedliche Probleme und Situation besprochen. Im Oktober hatten wir auch die Ausstellung “Hands Up” für 1 Woche bei uns im Haus. Das hat das Spital gemeinsam mit der Gemeinde Wiener Neustadt organisiert. Wir durften dann eine Woche die Ausstellung bei uns haben.

GWTV: Wow, spannend!

Sarah Kaspar: Die Ausstellung wurde vom Spitalsdirektor und der Geschäftsführung besucht. Unser Hauptaugenmerk liegt also auf der Bewusstseinsschaffung.

GWTV: Es wird ein Kennenlernen und Eintauchen in die gehörlose Welt ermöglicht.

Sarah Kaspar: Ja, genau.

GWTV: Es gibt ja einen Gebärdensprachkurs für Mitarbeiter:innen. Wenn jetzt tatsächlich gehörlose Patient:innen kommen, wie läuft dann die Kontaktaufnahme ab?

Sarah Kaspar: Es ist möglich uns per Mail, SMS, WhatsApp oder FaceTime zu kontaktieren.

GWTV: Wie sieht es aus, wenn eine gehörlose Person ins Spital kommt?

Sarah Kaspar: Wenn davor schon ein Termin vereinbart ist, dann treffen wir die Patient:innen am Haupteingang. Von dort begleiten wir sie weiter.
Wenn zuvor kein Termin vereinbart wurde, meldet sich die gehörlose Person einfach bei uns. Oder ein:e Mitarbeiter:in gibt Bescheid.

Wir begleiten z.B. zu Arztgesprächen, Untersuchungen oder Therapien und sichern die Kommunikation in Gebärdensprache. Da begleiten und übersetzen wir. Bei komplizierten Themen
stehen wir erklärend zur Seite. Oft bleiben nach dem Arztgespräch noch Fragen oder Unsicherheiten offen. Dann versuchen wir den Inhalt nochmal zu erklären. Dazu verwenden wir Hilfsmittel, wie Bilder oder eine Selbsteinschätzungsskala. Oder wir erklären die Inhalte nochmal langsam und in Ruhe. Manchmal versuchen wir etwas nochmal anders zu erklären.

Natürlich gibt es auch viele komplizierte medizinische Texte. Das sind z.B. Informationstexte oder Einverständniserklärungen, usw. Manche Ärzt:innen sagen einfach, dass die Patient:innen Formulare
zu Hause durchlesen und ausfüllen sollen. Da stoßen die Patient:innen mit ihrer Lesekompetenz oft an ihre Grenzen. Deshalb gehe ich solche Texte oft mit ihnen gemeinsam durch
und wir kreuzen es gemeinsam an.

 

Sarah Kaspar: Wir gehen jetzt zum Arztgespräch. Wenn du Fragen hast, kannst du jederzeit welche stellen.

GWTV: Ja, okay.

Sarah Kaspar: Bitte nach dieser Skala die Schmerzen einschätzen. Eins bedeutet, es geht mir gut, ich habe keine Schmerzen. Wie schätzt du deine Schmerzen ein?

GWTV:  Meine Schmerzen liegen so ungefähr bei vier.

Sarah Kaspar: Okay.

GWTV: Was wären für dich die nächsten Schritte am Weg zu einem inklusiven Gesundheitssystem.

Sarah Kaspar:  Ich denke es ist wichtig, das Bewusstsein zu fördern. Das gehört wirklich Schritt für Schritt aufgebaut und dann erweitert. Da gehört einfach viel Aufklärungsarbeit dazu.
Auch beim Direktor des Spitals hat das am Anfang viel Erklärungsarbeit gebraucht. Dank der Sensibilisierung ist das Bewusstsein dann aber gestiegen, dass es viele Barrieren gibt. So wurde das Projekt dann angenommen und kam ins Rollen.

Genau deshalb ist es so wichtig, die Bewusstseinsbildung zu fördern. Auch für die Mitarbeiter:innen sind diese Sensibilisierungen besonders wichtig. Da steigt das Bewusstsein für den Umgang
mit gehörlosen Patient:innen. Es wird vermittelt, was es zu beachten gibt und wie man sich in der Kommunikation an das Gegenüber anpasst.

Ein gutes Beispiel ist immer wieder die Situation im Wartebereich der Ambulanz. Die gehörlosen Mitarbeiter:innen müssen einfach wissen, dass sie gehörlose Patient:innen abholen müssen. Ein großes Thema ist auch, dass gehörlose Patient:innen die gleichen Informationen erhalten wie hörende Personen. Die gehörlosen Patient:innen müssen ja Entscheidungen treffen. Z.B. müssen sie entscheiden, ob sie eine Behandlung wahrnehmen möchten oder nicht. Um das zu entscheiden, brauchen sie alle Informationen!

Weiters ist noch wichtig, sich immer individuell an das Gegenüber anzupassen. Die Gesundheitskompetenz oder auch die Lesekompetenz der Patient:innen ist ganz unterschiedlich. Da muss man sich wirklich gut anpassen. Man kann nicht einfach alle gleich behandeln. Es muss individuell sein. Das wäre also dein Bild von Inklusion.

GWTV: Ja, stimmt. Vielen Dank für das Interview und den Austausch mit dir!  Wir sind hier in einem Spital mit einem besonderen Angebot! Gehörlose Patient:innen werden hier in Gebärdensprache
in die unterschiedlichen Abteilungen begleitet.

Sarah Kaspar: Danke für das Interview!

GWTV: Tschüss!

Sarah Kaspar: Baba!

 

 

 

Foto/Video Credits: Gebärdenwelt.tv
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